Leseprobe: Es ist immer Morgen
1. Haie
Auf einem Sklavenschiff
spielen die Seeleute Karten,
sie trinken dabei, eins -
mit den Haien im Schlepptau
der Strömung, die den Holzkörper
des Seglers zugewandt umfließt.
2. Paradiesvogel
In seinem Federkleid, seinem einzigen Anzug,
verbeugt sich ein Paradiesvogel im grünen
Dickicht in Neu-Guinea, tut dies
mit oder ohne Publikum;
Blüten liegen verstreut herum,
als handele es sich um bunte Tücher,
ihm zugeworfen, dem Matador. Er erwidert die
Aufmerksamkeit, auch wenn es keine gibt,
durch sein geneigtes Aufschauen,
bis in die hintersten Ränge der blauen Hochgipfel geht sein Blick;
eine lang anhaltende, bildliche und echte Stille
legt nahe - was er nicht merkt -, dass ihm keiner zuschaut.
3. Westen
Am Strand zwischen den Dünen,
liegt Westen,
mit seinen krausen Armen,
ein an einen zerbrochenen Kompass erinnernder
angespülter Tintenfisch.
4. Im Blick
Das Streichen über das kalte Fell eines Haustiers,
welches eine Nacht draußen verbracht hat und noch mit
den Sternen im Blick hochschaut;
die Selbstgewissheit - fast stünde dir das Herz still -
eines Kindes zu sehen, an der Kurve erkennbar,
die sein Modellflugzeug am Himmel beschreibt.
5. Unter dem Pflaumenbaum
Unter dem Fruchtbaum ist der Himmel durchsetzt
mit Nuancen der staubigen Pflaumen darin.
Schön geschriebene Sätze sind vergänglich, immerhin
wie das Süße dieser Früchte. Wo die starken Tage sind,
wenn alle Welt ein Joch ist, weiß niemand.
Ein Buch lässt sich als Wattierung unter das Zaumzeug des Zugtiers
legen, dort, wo die Haut dünn geworden ist am Rücken des Ochsen,
der an Hilfslinien entlang sein zugeteiltes Feld zu Ende geht.
6. Die Holzscheibe
Die Jahresringe der glatten Scheibe des gesägten Stamms
zeigen Spuren der Feuer, die der einst junge Baum überlebte.
Die Tage gehen dahin und blenden die aus,
die in ihre Arbeit gehen und in dieser verschwinden.
Unsichtbar sind auch die Vögel, die im Baum ihr Nest hatten,
die Freunde waren und wussten, wie der Baum schwankte,
wenn es windig war. Sie werden nicht gesehen. Nun
stelle dir einen unsichtbaren Vogel vor, nistend,
nicht im Gezweig, sondern über Veränderungen hinweg,
als wären die Veränderungen das Gezweig. Der unsichtbare
Vogel trägt Melodien vor aus den Noten der Jahresringe,
darin sind Kürzel, die für das Rascheln im Laub
und die hellen Stimmchen der Jungvögel stehen, eine
Schrift, die, vom Mittelpunkt ausgehend, bis zur letzten
Welle nach Außen fließt, als wäre sie ein Teich, die Holzscheibe,
als stünde sie für etwas. Dann kommt der Frühling -
und es regnet.