Leseprobe, Beginn des ersten Kapitels, Die Puppenspielerin von Port Town

Vor ihm lag der Badebereich. Der Muschelsand war hell. Weiter oben: die Promenade, ein Weg mit einem rauen, alten Teerbelag und vielen in den Zwischenräumen dieses Areals liegenden Steinen. Kinder, die barfuß darüber gingen, mussten wegen der oft scharfkantigen Oberfläche langsame Schritte machen. Lehnte William sich zum Fenster hinaus und schaute nach rechts, verschwand die der Promenade vorgelagerte Uferstraße schon nach wenigen hundert Metern in weißen Dünen. Es waren Hügel, diese Dünen, die harten Pflanzenwuchs zwischen dem vielen Weiß hatten und welche wirkten, als wäre in ihnen viel Wärme gespeichert. Schaute William indes nach links, waren da die Mündung des Flusses und die uralten Befestigungen zu sehen; Letztere bestanden aus Betonquadern, die zum Überdauern von wenigstens einem Jahrtausend ausgelegt schienen. Zwischen diesen imposanten Würfeln des Piers gurgelte es. Und es war genauso schön, das aus- und einströmende Wasser anzuschauen, wie es angenehm war, ein Feuer anzuschauen. Und dahinter, hinter den Befestigungen, auf der gegenüberliegenden Seite des heute ruhigen Flusses, lag das stürmische, ungeschützte, gefährliche Gebiet östlich der Mündung. Schatten kleiner Haie glitten umher. Gelegentlich verirrte sich ein Krokodil bis hierher. Im Fluss schwimmende Jugendliche kümmerten sich nicht um die Schemen der Raubfische oder um Amphibien. Es war, als stünden alle als gleichberechtigte Kunden, die Schwimmenden und die Raubfische und die Krokodile, an der Kasse eines Marktes an, wo alle einander höchstens zur Kenntnis nehmen – und ein Arrangement beim Warten bestand, andere nicht zu behelligen. Dennoch gab es immer wieder Knochenfunde drüben am Ostufer, darunter auch Gebeine von Menschen. Manche nahmen sie mit nach Hause und verwendeten sie, wie große Muscheln, etwa zur Tischdekoration. Von den Überresten der ebenfalls in dieser Gegend lebenden und sterbenden Affen waren menschliche eh kaum zu unterscheiden. Viele der Leute hier konnten nicht schwimmen – seltsam, angesichts der Nähe des Ozeans. Letztendlich bot jedoch die Fähigkeit, besonders geschickt im Wasser zu sein, auch keine Garantie auf längeres Leben. Die tückische, mitunter sehr starke Strömung dort hinten am Ostufer ergriff und ertränkte bisweilen auch sehr gute Schwimmer. Heute war ein schöner Tag. Die meisten Tage hier waren das: schön. Der Sand hinter den letzten, riesigen Steinen der Bastion – als eine solche ließen sich die Fortifikationen des Ufers sehen – wehte fröhlich und glänzte angenehm heiter. Es gab Tage, da glänzte der Muschelsand so sehr, dass es überhaupt nicht angenehm war, die Landschaft in Augenschein zu nehmen; dann zwang nämlich das grelle Licht alle, nach unten auf den Boden zu schauen. William versuchte, sich den Zweikampf von damals, Ende der 40er, vorzustellen, sich auch das eigentümlich aus der Zeit gefallene Bestattungsritual innerlich zu verbildlichen, das sich nach dem Kampf ereignet hatte, an jenem kalten Tag von vor einem halben Jahrhundert. William hatte mit einigen der älteren Bewohner des Ortes gesprochen, die Zeugen des Geschehens damals gewesen waren, und er hatte sich aus der Vielzahl der Berichte eine Gemeinsamkeit dessen zurechtgelegt, was sich dort drüben, lange vor seiner Geburt, abgespielt hatte. William atmete die Morgenluft ein. Die Luft damals muss seinerzeit ebenso klar gewesen sein. Wieso der Gedanke? Wie die klare Luft zu Zeiten der Völkerwanderungen – auch das war ein unwillkürlicher Gedanke. Und wenn die Luft schon so gleichbleibend war, stimmte es nicht vielleicht auch, dass jeder Tag so wie der Vortag war, jedes Jahr wie das Vorjahr, jedes Jahrhundert wie das vorangegangene und jedes Jahrtausend wie das davor? Es traf doch selbst auf ihn zu, den jungen William, dass er wie sein Vater hieß, dass sein Vater nach dem Großvater benannt worden war. Junior oder Senior, der erste, der zweite, der dritte, der alte, der junge und so weiter. Es machte, zumindest sprachlich, keinen Unterschied, ob er, sein Vater, sein Großvater, irgendein entfernterer Ahne oder wer auch immer durch dieses offene Fenster auf Meer, Strand, Promenade und Straße hinaussah. Und das galt auch für John, der im Krieg einmal, so wurde gesagt, Williams Vater das Leben gerettet hatte. Geschichten gab es viele, Bürgen, dass sie stimmten, hingegen kaum. William, der alte William, der Vater des jungen William, lebte nicht mehr. Dennoch, stimmten die Geschichten, so folgte: ohne John kein Vater, ohne Vater kein Sohn. Ah, John, gute Idee, dachte William bei sich; er würde später John aufsuchen, sofern ansprechbar. Ach, er würde John so oder so aufsuchen. Auch wenn er manchmal durcheinander war, redete oder faselte John doch auf kurzweilige, immer originelle Art und Weise. Ja, John war originell. Und wer ist das heutzutage noch: originell? Könnte man Anna als originell bezeichnen? William wusste darauf keine Antwort. Anna, die in seinem Haushalt arbeitete und in den Haushalten anderer, glich äußerlich der Anna auf den Bildern vom Ostufer-Kampf bis aufs Haar. Ja, das war seltsam – aber seltsam ist noch lange nicht originell. Seit einiger Zeit musste William annehmen, dass es – mindestens – drei Frauen gegeben hatte, die vor diesem kalten 40er-Tag nach dem Ende des Krieges so ausgesehen hatten wie Anna. Musste er das annehmen – oder sollte er es annehmen? Überhaupt: Wer sah schon aus wie Anna? Vielleicht Kriegerinnen in Epen der Völkerwanderungszeit. Es gab einen Grund dafür, dass er bei jeder Begegnung mit Anna an diese Epoche noch vor dem frühen Mittelalter dachte. William wusste, dass weibliche Taranteln ihre viel kleineren Männer nach der Begattung ab und an töteten und fraßen. Das war ein anderer Gedanke, den er hatte, wenn er Anna sah. Er spannte ihn weiter: Was, wenn die Nachkommenschaft von Mutter Tarantel und einem Männchen der Spezies nicht die gewünschten Eigenschaften hätte? Er war doch ein Beispiel dafür. William hatte außerordentlich breite Schultern geerbt, aber er war auch weich, empfindsam, mit einem Wort, vom Wesen her: schwach, war ein Schöngeist, jemand, der Bücher schätzte, sich mit Freunden gerne unterhielt, dabei mit diesen Freunden Tee trank, Wein mied, aus Furcht, sich dann inopportun zu verhalten. William sprach gerne, war eitel, mochte Düfte und, ja, er hatte diese unpassend breiten Schultern, die nahelegten, er sei ein Krieger – und kein Gelehrter. Das kam ihm vor wie Mimikry. Er war nicht wie John – und auch mit Anna hatte er, außer der Körperkraft, nichts gemein. Was würde ein Mensch wie Anna am Ende ihrer Tage tun, um sich irgendeiner Form des Weiterexistierens zu versichern? War das ihr wichtig? Es schien so. Eine Möwe kam ganz nah an sein Fenster geflogen, dann noch eine, dann noch eine. Der Grund: Er aß gerade ein Baguette. Er nahm ein Stück des Brotes und warf es hinaus, wo eine Möwe es in der Luft auffing. Das tat er noch einmal, dann noch einmal. Schließlich nahmen die Seevögel ihm das Brot aus der Hand, wenn er ein Stück zwischen seinen Fingern hochhielt. Ansonsten trug der Wind immer mal wieder leichtestes Spray von den Wellen gegen die Fensterflächen. Ständig mussten seine Fenster gereinigt werden. Hinter ihm standen, Wand an Wand und vom Boden bis zur Decke, ausgewählte Bücher: seine Bibliothek. Und sollten sie etwas mehr von der salzhaltigen Seeluft abkriegen, als Bücher gemeinhin in sich aufnehmen sollten, so war dies eine gute Sache; schließlich gab es den Büchern etwas Eigenes, eine Rosskur. Und außerdem: Interessierte es ihn überhaupt, was, auf lange Sicht, also nach seinem Ableben, irgendwann in ferner Zukunft, mit seinen Büchern geschah? Fast hätte er es vergessen: Taranteln gab es hier auch, schöne, bunte, zwischen den Büchern, hinter den Regalen. Er hatte den bald hundert Jahre alten Zeitungsartikel im Stadtarchiv gefunden; er kannte auch die Historie der ersten Siedler hier: Mitte des 19. Jahrhunderts waren sie gekommen, die Geschichte der Speer-Frau gehörte dazu. Es war auch bei dem uralten Dokument von vor fast hundert Jahren ein Foto dabei gelegen. War das Papier echt? William war sich sicher, dass der alte John ihm etwas verschwieg. Vor den 40ern waren es, wie gesagt, drei gewesen, aber in den vergangenen hundertfünfzig Jahren hatte es hier eine Abfolge von insgesamt fünf Frauen gegeben, die einander mehr als nur ähnelten. Dort draußen sah William eine beachtliche Rückenflosse. Ein großer Hai? Vielleicht war es ja auch ein Delfin – ein kleiner Wal. Hier, südlich des Äquators, musste mit allerlei Getier, großem und kleinem, gerechnet werden. Aber der Ostufer-Kampf Ende der 40er, der passte nicht. Seit tausend Jahren war kein Tag vergangen: Es war nur ein Gefühl. Drei Generationen mit dem Vornamen William in seiner Familie – und den Namen John gab es in dessen Familie ebenfalls, in die Vergangenheit zurückgehend, dreimal. Meinetwegen, dachte William, das war ja an sich nicht weiter bemerkenswert. Aber die Geschichte der Walküre gab ihm ein Rätsel auf. Ob er überhaupt danach trachten sollte, der Geschichte auf den Grund zu gehen, das Rätsel zu lösen? Ob er das sollte, wusste er nicht. Er dachte bei seiner Beschäftigung mit dieser Sache an Mutter Tarantel. --- Hier liegt Port Town. Wir sind den Tropen sehr nahe. Das Jahrhundert ist fast zur Hälfte vergangen, der Krieg ganz. Am Horizont, der langsam heller wird, ist ein Flugzeugträger zu sehen, ein großes Transportflugzeug zieht den Himmel entlang, so weit oben, dass es nicht mehr hörbar und eher ein Stern ist. Dann kommt ein Tanker, dann ein Segelboot. Dort hinten am Ostufer des Flusses geschieht etwas. Hier hingegen stehen die Brennnesseln nass und schattig über den Pfaden kleinster Tiere. Da es sehr früh ist, schlafen die Vögel noch. Weich wie Baumwolle sind die Unterseiten der Blätter. Die aufgeplusterten Federn der Vögel sind auch weich. Dort hinten steht Schilf über Kaulquappen und Jungfischen. Eine Glocke schlägt. Im Ozean erwacht der Krill und die mit diesem verbundenen Wale auch. In weit entfernten Ländern liegt Schnee, Igel gehen dort in der Dunkelheit der Hecken auf und ab; die alten Baumstämme sind besonders schwarz. Am Rande eines weit entfernten Steppengebietes liegt eine Geisterstadt, die längst nicht mehr auf neuen Karten eingezeichnet wird. Am Ostufer des Flusses, der durch Port Town fließt, findet ein Kampf statt. Manche jener, die gekommen sind, diesen zu sehen, haben ihre Hunde mitgebracht, angeleint und mit Tau im kalten Fell. Die Hunde sind fügsam, wie mitgeführte Objekte, mehr Talismane als Lebewesen. Der Kampf hatte bereits in der Dunkelheit begonnen. Es wurde selten so kalt in der Gegend wie an jenem Tag. Die Kämpfenden hechelten, die Tiere hechelten. Erdklumpen lagen herum, irgendwo lagen auch offen liegen gelassene Bücher, auch sie, wegen der Nässe, wie erschöpft. Letzte Sterne, die hellsten, wurden unsichtbar; angelassene Lichter, vergessen in entfernten Häusern, verblassten mit dem Nahen des Tages. Tausend Menschen waren damals, Mitte der 40er, so gut wie alle Erwachsenen von Port Town, ans Ost-Ufer gekommen, um den Kampf zu sehen. Und nun sah es aus, als würden beide bald tot sein – beide. Das Licht kam dann am Horizont hoch, wie die milchigen Arme eines Tintenfisches an den Pfeilern einer Brücke sich hoch und entlang tasten. Das Meer glich dem Pflaster einer alten Straße. Und über dieses alte Pflaster gehen wir, die Toten, jetzt auch noch. Hört das denn nie auf? Dort, am anderen Ufer, steht ein Ochse und wartet, im Stehen schlafend, unter seinem Joch. Überall die von Gräsern überwachsenen, klumpigen Böden, die Gesichtern gleichen, die hochschauen. Einer der Männer war fast gänzlich kahl. Ungewöhnlich behaart, wie als Ausgleich für das Fehlen des Haupthaars, waren seine Arme. Zwischen seinen Körperhaaren hatte sich beim Ringen Sand und Schmutz verfangen, was seine Arme aussehen ließ wie von einem Fell überzogen. Eine ganze Weile schaute dieser ältere der beiden einem Grashüpfer beim Balancieren zu, losgelöst fröhlich, schaute diesem kleinen Geschöpf zu, sah die spitzen Insekten-Knie und die sanften Antennen der Fühler voller Vergebung. Herauf und hernieder durchkroch der Grashüpfer, zartes Wesen aus dem Weltall, die Schluchten der im Erdboden ebenfalls klaffenden Schächte. Der ältere Mann, trotz seiner Jahre athletisch, sackte dann zur Seite weg, als ginge er in die Erinnerung an seinen ersten Tag – und hörte sich an wie eine Hand, die flach gegen nassen Lehm geschlagen wird. Da war er wieder, der Grashüpfer. Es blieben noch immer ein paar wenige Sekunden, um jenem mit Fühlern ausgestatteten Panzer des Grashüpfers mit dem Blick zu folgen. Wie viele Stürme werde ich nicht mehr sehen? Dachte er und schaute zu den Zuschauern, die diese Stürme sehen würden. Dann kam ein Sprühregen und erzeugte beim Schmelzen winziger Eiskristalle auf dem Boden ein Knistern. Wie ungewöhnlich kalt Port Town doch heute morgen war. Aber jetzt kam ja der kleine, warme Regen und fiel in das gemeinsame Bewusstsein aller dort und zog Kreise. Es war der ältere der beiden, der als erster starb. Der andere, kurz bevor auch er umfiel, rief einem der Zuschauer die Frage zu, ob sein ehemaliger Gegner irgendetwas gesagt hätte. Der Angesprochene nickte und zitierte: „Dies wäre eine gute Sitzbank gewesen.“ Woraufhin der Sterbende fragte: „Was - um alles in der Welt - soll das bedeuten?“ Worauf er als Antwort erhielt: „Ich weiß es auch nicht.“ Es gab eine Seebestattung. Es war schade, aber niemand sprach es aus, es war schade. Er hätte triumphieren müssen, der jüngere Mann; er war dann aber mit einem sehr langen Spieß aus einem Antiquitätenladen, den sein Gegner als Waffe bei sich hatte, durchbohrt worden. Staub rieselte in den Gängen der Maulwürfe, wie beim Herabnehmen eines Buches aus der obersten Reihe eines lange nicht mehr beachteten Regals. Nach dem Tod der Beiden kam Anna und stieß die Zuschauer weg. Sie bestimmte ab jetzt den weiteren Ablauf der Geschehens. Sie war eine körperlich so starke Frau, dass sie die erste der Leichen über ihre Schultern werfen konnte, wie ein Jäger ein totes Reh - und den Körper auch trug wie ein totes Reh. Und obwohl der, den sie schulterte, als wäre dessen Gewicht ein Nichts, augenscheinlich hundert Kilo wog, oder gar mehr, trug sie ihn leicht zum Floß und ließ ihn dort sanft auf die Holzbohlen herab, woraufhin sie zum anderen ging und den Vorgang wiederholte; und so platzierte sie die beiden toten Männer neben einander und fügte abschließend kleinere Veränderungen der Komposition hinzu, stilsicher, damit alles gut aussähe, als handele es sich um eine Zudecke, der durch Zupfen, Streicheln und sanftes Schlagen, ein ordentlich fülliges, aber auch penibel flaches, Aussehen gegeben wird. Als sie dann das Floß über den Sand schob und ins Wasser hinein, fiel den Umstehenden zumeist weniger die Zusammenstellung des Totenbettes auf, als die Kontraktionen ihrer Waden, zwei wuchtige, umgekehrte Herzformen; diese überaus sichtbare Anstrengung ihrer Muskeln setzte schließlich ein Gleiten des Floßes in Gange über den feuchten Sandboden, der in Richtung Meer noch zu überbrücken war. Keinem der Männer, die zuschauten, und auch keiner der Frauen, wäre es gelungen, dieses Gleiten des Holzfloßes über den nassen, letzten Strandabschnitt allein zu beginnen. William, ja, wäre vielleicht in der Lage gewesen, das Floß anzuschieben, aber William war an jenem Tag nun einmal krank und unpässlich gewesen. Die kleinen Wellen leckten wie Zungen am Floß; ein starker, selbstbewusster Strom zog in Richtung offenes Meer alles, was in diesen Sog hineinkam. Eine Möwe, hoch oben, kurvte neugierig umher. Und alle Dinge, die auf dem Floß, diesem Scheiterhaufen, zusammengetragen lagen, waren so drückend und moderig, wie die in eine Nische oder gegen eine Wand geschobenen Objekte im Interieur eines vollgestopften, und zugleich ausgelebten, Zimmers, kurz bemerkt bei Räumungsarbeiten. Die Flammen waren glücklicher, alles auf einer so kleinen Fläche vorzufinden und wehten über die leeren Räume der Körper beider Männer, deren Hände von ihr, von Anna - die diese Seebestattung zur Aufführung brachte - ineinander gefügt worden waren in einer Geste der Kameradschaft, die, wären sie noch am Leben, beide Männer nicht gewollt hätten. Ein Kasten, mehr eine Schatulle aus Holz, war von ihr in die Armbeuge des einen eingeklemmt worden; aber weder der Grund für diese dort platzierte Beigabe, noch die Geschichte des Gegenstandes, waren für irgendjemanden von Belang. Die Flammen schienen die Körper zu meiden, gerade so, als wären sie, die Flammen, lebendig und entscheidungsfähig, und nicht arbeitswillig mit Blick darauf, die Feuchtigkeit, welche die Toten noch enthielten, zu verwandeln, also damit anzufangen, Dampf aus den ehemals Lebenden zu machen, und das Blut, das Gewebe, die Knochen zu jenen Geräuschen zu veranlassen, die diesen bei Einwirkung von Feuer, und vor dem Aufgehen in Rauch, zu eigen ist. Ganz abgesehen davon: der Abend nahte rasch und formte Eiskristalle auf den Gräsern und Erdbuckeln, auf denen sich der Kampf ereignet hatte, wunderschöne Kristalle, welche die grünen Halme verbanden, kleine Landschaften, auf denen die Existenz des Grashüpfers, erst vor Stunden von den damals noch Lebenden betrachtet, ein solches Wunder gewesen war - angesichts der Kälte. Was die Zuschauer beredeten, und dabei feierten, waren die Taten der Zwei, als ginge es darum, aus der Auflistung der Taten Zahlen auszusondern und eine Summe zu präsentieren, eine für jedes Dasein, das da zu einem Ende gelangt war. Aber sie alle verloren sich doch auch in der Betrachtung der rötlichen Wolken, die dort hinten aufstiegen, dort draußen, vom Floß ausgehend, das auf dem Weg zum Horizont hin, bereits die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte. Und wer dies sah, gelangte so zumindest zum Hauch der Frage, ob vielleicht auch sie selbst, die Betrachtenden, eines Tages Gegenstand solcher Gespräche und Gedanken sein würden. Wir sind alle wie Siebe, musste eingesehen werden: nicht in der Lage, andere auf irgendeine Weise zu behalten. All jene, die das Floß (schon bald angesichts der Wellen und der Entfernung schwieriger zu erkennen) auf seinem Weg beobachtend verfolgten, empfanden das Muster des Sonnenuntergangs, das die Abendröte über die Bäuche der Wolken zeichnete, als einen angenehmen Anblick. Die weit entfernten Bewegungen der Wale ließen sie eine ebenso angenehme Berührung erleben. Auch sie, die Wale, wurden, wie die Seevögel, angezogen, rätselhaft, vom Ritual der Seebestattung, als wäre auch für sie, diese andere Spezies, der Vorgang staatsbildend, mit allem, was von ihm, dem Vorgang, abfloss, ans umgebende Meer. So wird der Tod gemacht und abgesteckt und beschildert, damit dieser ein Territorium bilde. Und die Ereignisse, die das Vergangene beschreiben, ordnen sich neu, grammatikalisch, in der Vergangenheitsform. Einer der Wale schoss über die Oberfläche des Meeres und flog – glatt: die Haut, gebogen: der Körper – einen Augenblick lang vom Ozean vollständig befreit und in Gänze in der Luft, um dann herabzufallen aufs Wasser, wie ein Steinzeitbeil. „Denkst Du, die Dinge werden noch eine Weile halten?“, fragte ein Zuschauer den neben ihm Stehenden. Er meinte die Dinge, die als Beigaben auf dem Floß zusammengetragen worden waren, und ging davon aus, der Angesprochene verstünde, was gemeint war. „Ich mache mir Sorgen wegen des Feuers.“ Dies war die Erwiderung darauf; womit umständlich der Unsicherheit Ausdruck verliehen war, das Feuer würde – je nach Stimmung – vielleicht einen inadäquaten Job verrichten, ganz so, als wäre das Feuer ein Handwerker und mutmaßlich nicht zuverlässig. Jedoch war der Redende nicht wirklich besorgt und sagte dann: „Er hat die Dinge hier gut zusammengehalten!“ Dies war oberflächlich und zusammenhanglos dahergesagt. Aber, wenn du es bedenkst, dachte er still, ist es doch nicht wirklich ohne Zusammenhang. Es brannte bald gut, das Floß, und es trieb auf einer Strömung, die auch gut war, den ganzen Weg bis zum weit entfernten Horizont, bevor es dann mit alledem versank, was auf der Holzfläche mit den beiden Männern herumlag. Die vom Feuer verursachte Wolke wurde, in dem Augenblick, in welchem die Seile, die die Holzbohlen hielten, durchgebrannt und also gelöst waren, abgetrennt von ihrer einspeisenden Quelle. Jedenfalls war dies das, was all jene, die vom Strand aus zuschauten, folgerten, nachdem das herumtreibende Feuer hinter den weit entfernten Wellen verschwunden war.

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