Leseprobe, Sandown (Einleitung)
Wie fing das Ganze an? Ich fasse mich kurz. In den späten 60er Jahren, mit dem Stellungsbefehl in der Tasche, umging einer meiner Onkel, mütterlicherseits, die Bundeswehr und setzte sich nach Südafrika ab. Etwas später zerbrach, nach circa sieben Jahren und vier Kindern in fünf Jahren, die Ehe meiner Eltern. Das Apartheidregime sorgte damals bei Europäern, die willens waren, die Bevölkerung (die weiße) durch ihre Anwesenheit aufzustocken, einzuwandern, für viel. Die Kosten der Übersiedelung wurden übernommen, eine Arbeit besorgt und sogar die Suche nach Wohnung beziehungsweise Haus unterstützt. Nach einigen Jahren wurden die Einwanderer dann vor die Alternative gestellt, dazuzugehören oder wieder zu gehen, die südafrikanische Staatsbürgerschaft anzunehmen oder dahin zurückzukehren, wo sie hergekommen waren. Wer den neuen Pass dann erhielt (so auch unsere Mutter und meine Geschwister), signalisierte damit, dass er oder sie dazugehörte als Stütze. Und das hieß als junger Mann unweigerlich, nach dem Schulabschluss zum Militär gehen zu müssen. Also: wirklicher Dienst an der Waffe, wirkliches Töten und – unter Umständen – wirkliches Getötet-Werden. Die deutsche Staatsbürgerschaft konnte man nicht ablegen, die südafrikanische nicht verweigern; meine Geschwister und unsere Mutter wurden auf diesem Wege Doppelstaatsbürger. Mein Onkel, übrigens, heiratete eine Südafrikanerin und ist, als seine Fahnenflucht verjährt war, wieder zurückgekehrt nach Deutschland. Das Jahr, in dem für meine Geschwister und mich dieser Lebensabschnitt begann, war 1972. Wir wussten am Abend vorher noch nicht, wohin es gehen würde, und waren entsprechend aufgeregt. Der Sinn dieses Stillschweigens bestand darin, dass unser Vater nicht wissen sollte, dass er uns Kinder nicht für ein gemeinsames Treffen am Wochenende würde abholen können – Rache für die Schmach der Scheidung. Unter anderem durch die Ausbezahlung ihrer Rentenbeiträge, damals noch möglich, hinterließ unsere Mutter auch finanziell verbrannte Erde. In Johannesburg wurde sie zunächst Lehrerin an der deutschen Schule. Die deutsche Schule unterschied sich mit Blick auf Disziplin und Uniformierung kaum von allen anderen Schulen der Stadt. Der Hauptunterschied war sicherlich, dass an der deutschen Schule die Prügelstrafe verboten war. Zwar gab es etliche Stimmen, die in dieser Hinsicht eine Angleichung an das südafrikanische System forderten, jedoch hätte dies zur Folge gehabt, dass Subventionierung aus Deutschland ausgeblieben wäre. Meine Geschwister und ich kamen auf eine englischsprachige Schule: Sandown Primary School, was den Vorteil hatte, dass wir schnell und vor allem akzentfrei Englisch lernten. Darüber hinaus war es sicher gedacht, dass ich davon profitiere, dass die Frau meines Onkels, Jacky, hier meine Lehrerin sein würde.
Back to Gallery